»Die Welt war verliebt in ihn«

GARTENSTADT. Als am 12. April vor 50 Jahren der erste bemannte Raumflug startete, wurde Juri Gagarin weltweit zu einem gefeierten Helden. Seine Person symbolisierte den Erfolg der sowjetischen Raumfahrt, den Aufbruch in ein neues Zeitalter. Die Journalistin und Buchautorin Ludmila Pavlova-Marinsky hat vor wenigen Tagen die Biografie »Juri Gagarin – Das Leben« veröffentlicht. Am Samstag kommt sie nach Rostock.

Die gebürtige Moskauerin studierte Journalistik und Literaturwissenschaften an der Lomonossow-Universität und lebt seit 21 Jahren in Deutschland. Ihr Vater, erster Sekretär des ZK des Komsomol, Sergej Pavlov, lernte den ersten Kosmonauten kurz nach seinem Weltraumflug kennen. Die beiden Familien schlossen eine Freundschaft, die bis heute anhält. Anlässlich der »Yuri’s Night Rostock« wird sie am 9. April erstmals öffentlich aus der Biografie lesen, die neue Perspektiven auf die Symbolfigur Gagarin eröffnet.

Darin porträtiert sie den charismatischen Kosmonauten sehr privat, zeichnet seine Entwicklung aber auch anhand von fundierten Materialien wie Originalprotokollen und Briefen nach. Sie zeigt, wie Gagarin mit seiner Rolle als Friedensbotschafter der UdSSR zurecht kam, wie sehr er sich zurück ins Flugzeug wünschte und nicht zuletzt, warum sein Tod nach wie vor viele Fragen aufwirft und Gagarins Angehörigen keine Ruhe lässt. In Vorbereitung auf »Yuri’s Night Rostock« stand die Autorin Rede und Antwort zu ihrem »Onkel Juri«.

Woher kannten Sie Juri Gagarin?

Mein Vater war als erster Sekretär des Komsomol, der Jugendorganisation der KPdSU, die rechte Hand des Präsidenten Nikita Chruschtschow. Juri Gagarin und er lernten sich bei einem Regierungsempfang im Kreml kennen. Ihre Charaktere ähnelten sich und sie waren sich sofort sympathisch. Es entstand eine enge Familienfreundschaft. Mein Onkel Juri war in meiner Kindheit und Jugend ein wichtiger Mensch für mich. Mit seiner Tochter bin ich noch heute befreundet.

Was fasziniert Sie an seiner Person?

Er war die sympathischste Persönlichkeit, die ich in meinem ganzen Leben traf. Die Welt war verliebt in ihn, weil er aus einfachen Verhältnissen stammte und dennoch etwas ganz Besonderes war. Es gab niemanden, den er nicht faszinierte. Juri Gagarin blieb immer authentisch und bodenständig, ob er bei Königin Elisabeth II., Fidel Castro, Che Guevara oder gewöhnlichen Menschen zu Gast war. Als mein Spielkamerad zog er mich durch sein einzigartiges Wesen in den Bann.

Was zeichnete seinen Charakter aus?

Seine feinen Charaktereigenschaften ließen ihn zum ersten Piloten und richtigen Mann für die Weltraummission werden. Juri Gagarin war zuverlässig, ehrlich, offen und diszipliniert, im Privaten ein treuer Freund, herzensgütig und tierlieb.

Wie hat sich die Glorifizierung nach dem Weltraumflug auf ihn ausgewirkt?

Der Ruhm nach der erfolgreichen Erdumrundung hat ihn nicht verändert. Er schien sich sogar für die viele Aufmerksamkeit zu schämen, weil er seine Verdienste dem großen Team zuschrieb, das mit ihm zusammenarbeitete. Er sei zwar geflogen, habe aber nicht die Rakete gebaut und auch nicht die Bedingungen dazu geschaffen. Die Regierung nutzte seine Heldentat aus, um sich in der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Es war ein großes Glück für die Parteibonzen, in Juri Gagarin eine makellose sowjetische Ikone bekommen zu haben. Für meinen Onkel Juri wurde es schnell zu viel, auf seinen Reisen ständig die Rolle des sowjetischen Helden spielen zu müssen. Er wollte sich manchmal verstecken und wehrte sich auch gegenüber der Regierung dagegen.

Was motivierte Sie, ein Buch über ihn zu schreiben? Hatten Sie das Gefühl, die Welt habe ein falsches Bild von ihm?

Ich habe erst später verstanden, wer die öffentliche Person Juri Gagarin war. Für mich war er immer mein über alles verehrter Onkel. Es lag mir sehr am Herzen, in meinem Buch den Menschen Gagarin zu beschreiben. Hunderte Autoren haben über ihn geschrieben, ihn aber nie leibhaftig erlebt. Der 50. Jahrestag seines Fluges am 12. April 2011 ist ein guter Anlass, seine Persönlichkeit in den Blickpunkt zu rücken. Das schulde ich ihm.

Wie nahm er selbst seinen Erfolg wahr? Wie bewertete er ihn und die Heroisierung seiner Person?

Er stammte aus einer einfachen Bauernfamilie, die in einem kleinen Dorf mit nicht mehr als 200 Bewohnern lebte. Er war schüchtern und empfand die viele Aufmerksamkeit um seine Person, für übertrieben. Seine Reisen und die Vertretung der Sowjetunion in der Welt betrachtete er als seine Pflicht und Aufgabe.

Hatten Sie während der Buchrecherche Kontakt zu Familienmitgliedern? Wie leben sie?

Ich besuche seine Töchter Jelena und Galja oft, wir sind befreundet. In Russland weiß jeder Mensch alles über ihren Vater, den Flug und die Kindheit. Tausende Bücher sind über ihn veröffentlicht worden. Jelena und Galja meinten, wenn ein weiteres Buch über ihn geschrieben werden sollte, dann von mir. Auch zu ihrer Mutter habe ich noch Kontakt. Sie gibt schon lange keine Interviews mehr, weil sie von Darstellungen über ihren Mann oft enttäuscht wurde. Sie lebt noch heute in der gemeinsamen Wohnung im Sternenstädtchen bei Moskau, einem Ort, wo alle russischen Kosmonauten leben. Früher war dieser Ort streng überwacht.

Wie nahm er die Überwachung durch den Geheimdienst wahr, wie bekam er davon mit?

Die permanente Überwachung durch den Geheimdienst gehörte zum System. Onkel Juri war nicht naiv, er wusste natürlich davon, musste es aber akzeptieren und lernte, damit zu leben. Meinem Vater und ihm war bewusst, dass das Telefon abgehört wird und sie ständig observiert werden. Es wurden dauernd Berichte für den KGB verfasst. Dennoch suchten sich mein Vater und sein bester Freund Freiräume. Bei langen Ausflügen auf dem See und Spaziergängen im Wald konnten sie sich ungestört unterhalten.

Sogar von der englischen Königin wurde er eingeladen. Worin lag das Besondere an diesem Besuch?

Bereits drei Monate nach seinem Raumflug wurde Juri Gagarin nach Manchester eingeladen, dort besuchte er die Arbeiter der Gewerkschaft der Gießereiarbeiter Englands und erhielt die Einladung der Königin zum Frühstück. Die ganze königliche Familie war dabei, Onkel Juri fühlte sich verloren in dem Palast und sollte direkt neben ihr sitzen. In herzlicher Atmosphäre wollte sie entgegen des Protokolls private Fotos mit ihm machen. »Wer hat gesagt, dass er ein einfacher Mensch ist, er ist ein Mensch aus dem Kosmos«, soll Queen Elisabeth II. entgegen der Bedenken ihres Umfeldes gesagt haben.

Gagarin wollte auch der erste Mensch auf dem Mond sein, kam aber am 27. März 1968 bei einem Übungsflug ums Leben. Unter vielen Thesen, die es zu den Ursachen gibt und nach Ihrer Recherche: Welche halten Sie für plausibel?

In meinem Buch habe ich zwei Kapitel dazu geschrieben. Es ist nicht einfach, das in wenigen Sätzen darzustellen. Jedenfalls gibt es zahlreiche Thesen zu der Unglücksursache, keine davon ist bestätigt. Da gibt die Vermutung des Zusammenpralls mit einem anderen Flugzeug, in einem Luftraum, in dem nur Gagarin fliegen durfte, einen gefälschten Wetterbericht und vieles mehr. Waren es viele unglückliche Umstände, die zum Unfall führten oder wurde er bewusst aus der Welt geschafft?

Durch seine zahlreichen Reisen wurde er Kosmopolit, der Eiserne Vorhang war für ihn durchbrochen. Der vermeintliche sowjetische Held betonte immer wieder, wie schön die Erde aus dem Weltraum sei, ohne Grenzen und Nationalitäten. In Briefen an die Partei und Kommentaren gegen die Führung hat er sich offen dagegen gewehrt, auf den Heldenstatus reduziert zu werden und als meinungslose Ikone der Regierung dargestellt zu werden. Wenn ich die Fakten des Unglücks betrachte, bleiben viele Fragen offen. Es gibt keine klaren Antworten und wilde Spekulationen. Bis an mein Lebensende werde ich mich für eine erneute Untersuchung des Unfallhergangs einsetzen.

Welche Gefühle verbinden Sie mit dem Unfall und den angeblichen Ursachen?

Es bewegt mich bis heute. In der Familie, vor allem mit meinem Vater haben wird oft darüber gesprochen. So lange der genaue Unfallhergang nicht geklärt ist, bleibt das Thema für mich aktuell. Ich werde immer darauf warten.

Wie ist Ihr Buch aufgebaut?

In meinem Buch vermischen sich private Geschichten mit technischen Beschreibungen. Ich erzähle viele persönliche Geschichten und will vermitteln, wer Juri Gagarin war. Persönliche Erinnerungen und Gespräche mit seinen Angehörigen bieten viel Erzählstoff. In Archiven habe ich zudem viele unveröffentlichte Dokumente und Abbildungen recherchiert, mit denen ich Einblicke in technische Fragen geben kann. Für mich das Wichtigste war aber der Mensch Gagarin, den ich so geliebt habe und bis heute liebe. Das Buch habe ich geschrieben, damit er nicht in Vergessenheit gerät und weiterlebt.

Text und Interview: Stefan Altkrüger

Weblinks:
Sonderseite des Magazins »Scientia« zur Yuri’s Night
Webseite Yuri’s Night

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