GEHLSDORF. Viele Menschen haben Angst davor, im Alter an Alzheimer zu erkranken. Denn noch gibt es keine Möglichkeit zur Heilung. Rostocker Forscher haben es sich zur Aufgabe gemacht, das zu ändern.
Noch immer gibt es kein Medikament gegen Alzheimer. Doch ein Forscherteam der Universität Rostock hat nun ein Gen entdeckt, welches in Bezug auf die Krankheit eine Schlüsselrolle spielt. »Fehlt dieses Gen beispielsweise den Mäusen, steigt das krankmachende Alzheimer-Protein auf das Zwölffache an und verursacht bei den Nagern die Krankheit viel früher«, sagt Prof. Pahnke, Leiter des 20-köpfigen Teams.
Sieben Jahre hat die Forschungsarbeit den 38-jährigen und seine Kollegen gekostet – und ein Erfolgserlebnis wäre wichtig. Denn bei 99 Prozent der Alzheimer-Patienten die Ursache für die Erkrankung unbekannt. Außerdem könnten Hochrechnungen zufolge im Jahr 2050 bis zu acht Millionen Deutsche daran erkrankt sein. »Durch das Wissen um dieses Gen ist es jetzt möglich geworden, neue Medikamente zu suchen, die bislang nicht im Fokus zur Behandlung der Alzheimer-Demenz standen«, so Pahnke.
Um erfolgreich zu sein, gehen die Wissenschaftler völlig neue Wege. »Die Funktion der Kraftwerke der Zellen steht mit der so genannten Müllabfuhr des Gehirns in engem Zusammenhang«, erläutert Prof. Pahnke. Die notwendige Reinigungsfunktion wird also mit der Alterung des Gehirns in Zusammenhang gebracht. Ziel des gebürtigen Greifswalder ist es, die Krankheit zu erkennen, bevor Demenz klinisch zum Ausbruch kommt. »Wir ringen in der Grundlagenforschung darum, den Beginn der Erkrankung um nur fünf bis zehn Jahre zu verzögern«, betont er.
Gearbeitet wird im Labor mit Mäusen, die gentechnisch verändert wurden. Das bringt den Vorteil, dass man dabei Mechanismen in ein bis zwei Jahren beobachten kann, die bei einem Patienten 60-80 Jahre dauern würden. Das Mäusegehirn wird mikroskopisch hoch aufgelöst dargestellt, und man sieht die für Alzheimer typischen Plaque-Ablagerungen im räumlicher Darstellung.
Bei seiner Forschung fokussiert sich Pahnke nicht nur auf eine Möglichkeit. »Wir suchen auch nach neuen Wirkstoffen in verschiedenen Pflanzenarten.« So haben die Wissenschaftler aus dem griechischen Eisenkraut einen Extrakt gewonnen, der die Menge der Plaques im Gehirn um etwa 80 Prozent vermidnert. Jetzt wird an den Mäusen getestet, welcher Inhaltsstoff genau für diese enorme Reduktion verantwortlich ist. Auch mit der Pharma-Industrie wird mittlerweile kooperiert. Unter anderem zeigte sich eine große Chance in einem sehr alten Medikament, das bisher nur gegen Schmerz und Übelkeit eingesetzt wurde und seit einigen Jahrzehnten auf dem weltweiten Markt bekannt ist.
Doch nicht nur im Rostocker Labor wird geforscht, auch die Modellierung wichtiger biologischer Prozesse ist wichtig. Hier kommt der studierte Wirtschaftsmathematiker Felix Winter von der Interdisziplinären Fakultät (INF) ins Spiel. Mit seinen mathematischen Kenntnissen hat er ein Modell erarbeitet, das die Ursachen der Alzheimer-Demenz beschreibt und helfen könnte, wichtige Mechanismen aufzuklären. »Wir haben eine neue Hypothese für das Entstehen von Alzheimer aufgestellt«, sagt er und ist stolz, bei diesem Projekt dabei sein zu können.
Seine Zusammenarbeit mit den Forschern um Pahnke gestaltet sich folgendermaßen: Die Biologen und Mediziner liefern ihm Zahlen darüber, in welchen Mengen ein bestimmtes Eiweiß zu verschiedenen Zeitpunkten in den Mäusen vorhanden ist. Da dieses für das bei Alzheimer typische Absterben der Nervenzellen mitverantwortlich ist, kann Winter damit ein mathematisches Modell generieren, das die biologischen Hypothesen unterstützt. »Wir sind auf einer sehr interessanten Spur«, meint der junge Rostocker, denn mittlerweile kann man anhand des mathematischen Modells den zeitlichen Verlauf der Eiweißablagerung am Beispiel von Mäusen vorhersagen.
Erst kürzlich wurden Winters Leistungen mit dem Nachwuchswissenschaftler-Preis “Rostock’s Eleven” gewürdigt. »Alzheimer ist ein internationales Thema, auf dem derzeit viel passiert«, sagt der Doktorand, der am Department „Erfolgreich Altern“ an der Universität Rostock forscht. Auch in der interdiszipliären Zusammenarbeit an der Rostocker Alma Mater sieht er große Vorteile. »Alleine ist ein solch komplexes Thema nicht zu bewältigen.«
Unterstützung erhält er von vielen jungen exzellenten Forschern, die Spezialisten auf dem Gebiet der Modellierung sind. Sie alle können komplizierte biologische Vorgänge in mathematischen Formeln beschreiben. »Ohne die Unterstützung vom Lehrstuhl für Systembiologie und Bioinformatik mit Professor Olaf Wolkenhauer an der Spitze wäre diese Arbeit so nicht möglich«, steht für Felix Winter fest. Und auch Wolkenhauer ist sich sicher, dass die Modellierung in der heutigen biomedizinischen Forschung nicht mehr wegzudenken ist. »Interdisziplinarität, das heißt die Zusammenarbeit von Spezialisten verschiedener Disziplinen an einer gemeinsamen Fragestellung, ist für die Lösung bedeutender Fragen nicht nur hilfreich, sondern oft unabdingbar. Die erfolgreiche Arbeit von Felix Winter zeigt, dass dies in Rostock verstanden und aktiv gelebt wird.«
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