Neu: Risse Nr. 25 oder: Über den Rostocker Dichterstreit

Am 26.  November wurden im Peter-Weiss-Haus die neuen ›Risse‹ präsentiert. Risse ist eine der Literaturzeitschrift aus Mecklenburg-Vorpommern. Aus Mecklenburg-Vorpommern — das bedeutet, dass die Förderung von Autoren des Landes eines der Hauptziele der Zeitschrift ist. Und dies heißt nun keineswegs — soviel Sardonismus mag erlaubt sein — dass wir darin dem ›Mähdrescherzyklus‹ oder einem Auszug aus  dem neuen Epos ›Herbstabende mit meinen Enkelkindern. Up Platt.‹ begegnen. Nein. Fürchtet euch nicht!

Zu den Präsentationen finden traditionell Lesungen von Autoren statt, welche darin publizieren. Das waren dieses Mal Carlo Ihde, Holm Teller und Karin Volkmann. Einen der in diesem Rahmen vorgetragenen Texte drucken wir hier exklusiv ab. Dazu folgende Vorrede: Martin Badenhoop ist Träger des zweiten Platzes der Lyrikmeisterschaft vom 23. November (wir haben davon berichtet). Er sagte dort, Lyrik müsse weniger ›carloihde‹ und mehr ›klavkiesk‹ sein (nach dem Kieler Autor Klavki). Problematisch an dieser Äußerung scheint nun, beide gegeneinander auszuspielen oder überhaupt in einen gemeinsamen Zusammenhang zu bringen. Auch bleibt bislang unklar, in welcher Form sich das Klavkieske bei Badenhoop niederschlägt. Carlo Ihde, der bei der letzen Lyrikmeisterschaft keinen der Preise erhielt, verfasste also für Martin Badenhoop, welcher den zweiten Platz erzielt hatte, eine Antwort, in welcher er dessen Angriff ironisch begegnet:

»Manche Kritik kommt einfach zu spät. Poesie heißt schon lange ›carloihde‹ und das ist nicht einer der schlechtesten Namen, den sie haben kann, Poesie hat übrigens die Schule mit dem Abschlussgrad ›carloihde‹ verlassen, und das hat sie anständig auf das Leben vorbereitet wie ich meinen will, Poesie geht ihren Weg auf ›carloihde‹-Weise und das steht für eine Kontinuität, die manch andere Individualpoetologie erst mal beweisen muss, nachdem sie ihren hörbarsten Akzent aus einer Abarbeitung am Namentlichen bezog.
Eines aber möchte ich betonen: Es gibt keine Lyrik-Szene in Rostock. Es gibt ernsthaft keine stabile Nebenöffentlichkeit, die sich über das gemeinsame Interesse einer Bezugnahme der differierenden poetologische Konzepte aufeinander zum Zweck des künstlerischen Austausches und tautologischerweise der austauschszweckmäßig gebundenen Vergesellschaftung definiert, es gibt in Rostock keine ‚Szene‘, höchstens einen schalltoten Raum ohne beständiges Personal, in den niemand auch nur einen Rülpser von halbwegs literarischer Bedeutsamkeit hinein zu stellen vermag, Lyrik findet in Rostock keine größeren Liebhaberkreise, denn echte Lyrik mag sich ob der möglichen Hörweite gerade der fragilsten Konzentrate von Sensibilität nicht selbst gefährden und lässt sich daher keine Öffentlichkeit durchgehen – nicht einmal szenemäßige Halböffentlichkeit -, oder kann gehört aber nicht verstanden werden, und hätte damit um den Preis der bloßen Hörbarmachung nichts gewonnen. Lyrik läuft Gefahr, unangenehme Überforderungen zu provozieren, für die ein handelsübliches Publikum nicht gezahlt haben will. Oder es schafft es aufgrund dieser ästhetischen Korsage zunehmend nur etwas auf die Bühne, was schon hemmungslos zur blanken ›Poetry‹ verslammt wurde, nachdem die Produzenten es satt hatten, sich und das Publikum noch länger über den Anspruch zu täuschen. Es gibt keine Lyrikszene ist Rostock. Daher würde ein lyrischer Messias in Rostock seinen Fuß auf Brachland setzen und gefeiert werden müssen für den Staub den er aufwirbelt, nicht aber dafür, womit er sein Kommen rechtfertigt oder welchen Gegenwert im lyrischen Bewusstseinszustand einer Stadt er mit seinem Eintreffen erwirkt haben will. Wenn es zum Existenzquantor einer Lyrikszene gereicht, dass es zwei drei benennbare Personen gibt, die im Atemzug ihrer Benennung auch schon gedisst werden und die in einigen Jahren studienbedingt die Stadt wieder verlassen werden, dann sollte sich Rostock gerade so eine Szene nicht wünschen, denn sie hätte diese nicht mehr lange und sie hätte diese nicht aus eigener Kraft und sie hätte diese nicht aus Identifikation der Lyriker mit ihr, sondern sie hätte diese aus Zufall und dürfte aufgrund des rauhen Tones, der in dieser kleinen Szene bereits herrscht, nicht viel auf sie halten dürfen. Daher setze ich mich vehement gegen die Existenz einer Lyrik-Szene in Rostock ein, indem ich weiter Lyrik mache. In etwa zwei Jahren dürfte sich das mit mir und Rostock ohnehin erledigt haben. Bis dahin die Bitte an Sie: halten Sie mich aus, wenn Sie nicht, wer sonst. «

Die Risse sind im Buchhandel erhältlich oder können bestellt werden. Weitere Informationen hierzu unter: http://www.risse-mv.de

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