Traditio et Innovatio

Es ist mehr als eine historische Feststellung, dass an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns bereits seit mehreren hundert Jahren Schiffe hergestellt werden. Verbunden mit der romantischen Vorstellung vom Zeitalter der Segelschifffahrt, in dessen Verlauf auch regionale Schiffbaubetriebe eine bedeutende Rolle spielten, gehört diese Tradition nicht zuletzt zum Selbstverständnis der Menschen in dieser Region.

Die Kogge als Symbol des F.C. Hansa ist ein Beispiel dafür, welchen Stellenwert das Schiffswesen für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern hat. Man muss nur mit offenen Augen durch die Stadt gehen und danach schauen, wo einem überall Darstellungen von Schiffen begegnen und Firmennamen mit maritimen Bezeichnungen.

Mit der ›Erbgroßherzog Friedrich Franz‹ baute die Rostocker Schiffswerft 1852 als erste deutsche Werft ein seegehendes eisernes Dampfschiff,1951 trat mit der  Fakultät für Schiffsbautechnik erstmals in der deutschen Universitätsgeschichte eine technische Fakultät an die Seite der traditionellen Wissenschaften.

Die Rostocker Werften, welche sich nach der Ausbreitung der Motorschifffahrt behaupten konnten, erlebten die Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts und spiegelten als Betriebe gesellschaftliche und geschichtliche Prozesse. Dass während des Zweiten Weltkrieges viele Zwangsarbeiter in der Neptunwerft beschäftigt waren, ist fast gänzlich in Vergessenheit geraten. Nur eine kleine Gedenktafel an der Westwand des alten Werftgebäudes an der Hamburgerstraße weist auf vergangenes Leid und Unrecht hin. Die Rolle der Rostocker Rüstungsbetriebe in den Jahren der Nazidiktatur, zu denen neben den Flugzeugwerken eben auch die Werft gehörte, wird wenig reflektiert. Der Erhalt der Tafel, an der jährlich eine Kranzniederlegung stattfindet, wurde per Auflage bei der Erneuerung des Gebäudes erzwungen.

Tonnage für Jahrzehnte

Die Gründung der Warnemünder Werft nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Die gebauten Schiffe wurden zunächst als Reparationsleistungen an die Sowjetunion geliefert. Deren Bedarf an Schiffen war enorm: Frei nach dem Motto des russischen Zaren Peter I.: »Ein Land ohne Flotte ist wie ein Mann mit nur einem Arm«, verlangte die junge Weltmacht UdSSR nach Schiffen um die eigene Bevölkerung zu ernähren, Schiffen um am wiedererwachenden Welthandel teil zu nehmen und Schiffen um militärische Stärke zu demonstrieren: Tonnage für Jahrzehnte.

Durch die Reperationsforderungen der UdSSR musste der Ostteil Deutschlands die weit größere Kriegsfolgenlast schultern. Alleine die Neptunwerft leistete Reparation in Höhe von 250 Millionen DM! Auch nach Ablauf der Reperationszeit 1953 blieb die UdSSR wichtigster Kunde der Ost-Werften, die dadurch in eine Art Schicksalsgemeinschaft mit der Sowjetunion verstrickt wurden.

Wirtschaftlich hatte diese Abhängigkeit schon zu DDR-Zeiten ihre Nachteile: Das Bruderland diktierte Preise, die weit unter dem Weltmarktniveau lagen und nur durch staatliche Zuschüsse konnten die Vertäge eingehalten werden.

Wer aber glaubt, die Schiffe der Rostocker Werfte liefen ausschließlich in Richtung Osten aus, täuscht sich: Die DDR gehörte zu den 10 führenden Schiffsbaunationen und so belieferten die Rostocker und Warnemünder Werft auch exotische Länder wie Madagaskar, Singapur, Kamerun und die Philippinen. Auch Schweiz, Österreich, Frankreich und Norwegen finden sich in den Abnehmerlisten.

»Nach der Währungsunion fielen diese Staatsmittel schlagartig weg. Es traten die realen Kaufkraftverhältnisse zutage. Die gleichgebliebenen Schiffspreise deckten bei weitem nicht mehr die Kosten der Schiffe. Zum Erfüllen der rechtlich gültig geschlossenen Verträge, die unter Vertrauensschutz standen, mußte die Treuhand, die im Juni 1990 100%iger Gesellschafter der ostdeutschen Werften geworden war, mit Mitteln in Milliardenhöhe ausgleichen, sogenannte Altlasten, um vor dem finanziellen Aus zu bewahren.«

Die DDR war und ist freilich nicht der einzige Staat gewesen, der auf die (mehr oder weniger sinnvolle) Idee gekommen ist, dem Schiffsbau finanziell unter die Arme zu greifen.

Von einem »zutage treten realer Kaufkraftverhältnisse« kann also kaum die Rede sein: Fast jede schiffsbauende Nation subventioniert ihre Werften mehr oder weniger intensiv.

Von der Schiffsschraube bis zum Klavierhocker:
Verhängnisvoller Trend zur Vollwerft

Da die meisten Zuliefererbetriebe im Westen lagen mussten die ostdeutschen Werften, anfangs parallel zum Schiffsbau, eigene Zuliefererbetrieb aus dem Boden stampfen.

Eine fast unglaubliche Leistung stellt angesichts dieser Tatsache der Umbau eines Kriegsschiffs in das sowjetische Staatsschiff ›Pobeda‹ dar. Das ehemalige Marinewohnschiff bot nach dem Umbau 404 Gästen allerfeinsten Komfort – eine Meisterleistung war der prunkvolle Musiksalon, den Innenarchitekten und Tischler der Schiffsmontage Rostock trotz ständigem Matrialmangels detailverliebt gestaltet hatten.

Die ostdeutsche Regierung macht aus der Not eine Tugend und betrieb eine durchaus beachtenswerte Strukturpolitik, indem sie die Warnow-Werft und Neptunwerft gemeinsam mit den anderen Schiffsbaubetrieben und den Zuliefererbetrieben im VEB Kombinat Schiffbau bündelte. So konnte effizienter und schneller auf den Bedarf der Reedereien eingegangen werden. Die Leitung des 56.000 Menschen umfassenden Kombinats lag bei der Rostocker Neptunwerft. Die erstreckte sich damals vom Kabutzenhof bis Bramow. In Gehlsdorf befand sich eine Reperaturwerft für militärische Schiffe, in der Budapesterstraße eine Zuliefererwerkstatt, das Clubhaus mit Festsaal wurde für Betriebsfeiern, Hochzeiten und Jugendweihen genutzt, eine betriebseigene Poliklinik, Wohnheime, Kinderkrippen und der Betriebssportplatz ›Rote Erde‹ in der Hans-Sachs-Allee zählten ebenfalls zum Betrieb. Unter anderem mit Hilfe der Schiffsbautechnischen Fakultät wurden gezielt und weitsichtig qualifizierte Fachkräfte ausgebildet.

Angesichts dieser Ausdehnung (ein Spaziergang von einem Werftende zum anderen dauerte eine halbe Stunde!) wird deutlich wie sehr die Werft – zusammen mit dem Rostocker Überseehafen, welcher bis zum 30. April 1960 als Riesenprojekt verwirklicht wurde – das Bild der Stadt Rostock geprägt haben musste.

Im Westen verlief derweil die gegenteilige Entwicklung. Die zunehmende Spezialisierung und weltweite Arbeitsteilung führte dazu, dass in westdeutschen Werften bald nur noch die fertigen Einzelteile zum Schiff zusammenmontiert werden mussten.

Als mit der Wende auch den ostdeutschen Werften der Zugang zu modernen, hocheffizienten westlichen Zuliefererbetrieben möglich wurde, war das Konzept der Vollwerft nicht mehr zu halten.

Die Gesamtbeschäftigtenzahl des ehemaligen VEB Kombinat Schiffbau schmolz von 51.654 Mitarbeitern im Juni 1990 auf  20.090 im Dezember 1991.

Eine verhängnisvolle Entwicklung, besonders im strukurschwachen Mecklenburg-Vorpommern, in welchem es wenig Ausweichmöglichkeiten gab.

»Und dann stellte ich fest ich bin da in ein wunderbares Kollektiv reingeraten«

Das Rostocker Werftarbeitermilieu: Familiär aber unproduktiv?

Drastisch sind nicht nur die finanziellen Einbußen der Entlassenen, Ausgegliederten oder in den Vorruhestand verabschiedeten Werftarbeiter. Die für die DDR typische hohe Identifikation der Arbeiter mit dem Betrieb war auch in den Rostocker Werften gegeben.

Die Rostocker Werftarbeiter genossen als Arbeiter im Arbeiter- und Bauerstaat ein hohes Ansehen.

Sie hatten die Möglichkeit ihre Interessen durchzusetzen. Je stärker der Zusammenhalt, desto erfolgreicher konnten sie sich gegen staatlichen Forderungen wehren. Das zeigt zum Beispiel der Aufstand am 17. Juni. Eine große Rolle spielte auch die große Arbeitspaltzsicherheit, der Kollege wurde als Kollege angesehen, nicht als Konkurrent, das Milieu war von Egalität geprägt.

Ein Zeugnis davon gibt ein Interview, dass die Sozialwissenschaftlerin Heidrun Herzberger im Rahmen ihrer Studie zu Biographie und Lernhabitus im Rostocker Werftarbeitermilieu mit einem Werftarbeiter der Neptunwerft führte:

„Und dann stellte ich fest ich bin da in ein wunderbares Kollektiv reingeraten“, schwärmte Andreas R., der in den 70er Jahren in der Neptunwerft eine Ausbildung zum Werkzeugmacher absolvierte.

Die Massenentlassungen schrumpften sein Werkzeugmacher-Kollektiv von 38 Arbeitern auf 6 Mann zusammen. Der Facharbeiter konnte sich dem Eindruck nicht erwehren, dass: »da auch nicht nach sozialen Gesichtspunkten abgebaut wurde, das interessierte nich ob einer drei Kinder hatte.« Dabei hatte er selber eigentlich keinen Grund zur Beschwerde: Er gehörte zu den Wenigen die ihren Job behalten konnten:

»Tja ich mach meine Arbeit auch noch gerne. Metall is so meine Welt – aber so die Bedingungen das is nich mehr so wie früher dieser Leistungsdruck überall die Stunden geschintzt. Heutzutage macht man seine Arbeit sag ich mal gut um seinen Arbeitsplatz zu behalten. So sag ich das mal.«

Ein verklärender Rückblick? Frau Herzberger sah die DDR-Vergangeheit mit dem hohen Stellenwert des Arbeiters und den egalitären Strukturen im Betrieb weniger (n)ostalgisch: Sie befürchtete, dass die in der DDR-Werft sozialisierten Arbeiter, mehr schlecht als recht auf die Anforderungen der Marktwirtschaft vorbereitet waren: Der große Einfluss der Arbeiter führte zu niedrigerer Produktivität und der enge Zusammenhalt und das hohe Ansehen der Werftarbeiter bei guter Bezahlung führte dazu, dass noch in der Nachfolgegeneration wenig Interesse an Aufstieg durch Weiterqualifikation bestand.

Treuhand, Tiefpunkt, Transformation

Die Wende bildete für die Rostocker Werften die folgenreichste und schmerzlichste Zäsur. Mit der Privatisierung durch die Treuhand im Jahre 1990 begann eine Berg- und Talfahrt, welche mit den aktuellen Entlassungen einen neuen Tiefpunkt erreicht hat. Die Vulkan-Affäre wurde dann zu einem traurigen Höhepunkt in der Folge von Veruntreuungen von Fördermitteln, obwohl der Fall nicht der Einzige seiner Art sein dürfte.

Es folgten häufige Besitzer- und Namenswechsel, Trennung der Warnow und Neptunwerft, Zusammenführung unter Vulkan und erneute Aufsplittung nach dessen Insolvenz.

Heute sind beide Werften auf ein Minimum der ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft.

Die Neptunwerft, die einst im Herzen Rostocks pulsierte fertigt heute als Teil der Emsländer Meyer-Werft erfolgreich Flusskreuzfahrtsschiffe am Rande von Warnemünde.

Warum in einer Werft an der Ostsee allerdings Binnenschiffe vom Stapel laufen, erschließt sich erst wenn man sich durch die EU-Richtlinien zum Schiffbau arbeitet – denn diese Verträge, die versuchen, den Schiffbau in den Mitgliedsländern zu koordinieren, Überschuss zu vermeiden und einheitliche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, verkomplizieren den Bau von seegehenden Schiffen.

Der Fall Warnow-Werft: Krimireif?

Anders sieht es bei der Warnemünder Werft aus.
Nach 1990 übernahm der Bremer Vulkan-Verbund die Werft und schloss sie der Neptunwerft an. Mit der Insolvenz des Vulkan-Verbunds ging die Warnemünder Werft an den norwegischen Kwaerner-Konzern über. Im September 2008 wurde erneut der Besitzer gewechselt: von Norwegen geht es unter dem neuen Namen Wadan Yard an einen russischen Investor namens Burlakow. Doch die Hoffnungen die man sich angesichts der ›Rückkehr‹ in russische Hände erhofft werden bitter entäuscht: erneute Insolvenz droht, als ein zweiter Russe am Horizont erscheint: Witalij Jussufow, Sohn eines ehemaligen Energieminister und Gasprom-Vorstands. Wieder sind die Hoffnungen hoch, allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die Seilschaften hinter dem Wechsel  von Burlakow zu Jussufow befürchten. Der Spiegel (Jg 39/2009) berichtet von einem Geheimpapier und beruft sich auf einen russischen Schiffsindustrieexperten, der in der russischen Übernahme vor allem den Wunsch nach einem Zugang zu deutscher Hochtechnologie sieht.

Ob die Vorwürfe berechtig sind oder eher als Krimivorlage dienen sollen, wird sich wohl erst noch herausstellen. Auf der Firmenseite gibt sich Jussufow selbsbewusst.

Man habe sich mit Spezialschiffen, Containerschiffen und besonders auch arktistauglichen Eisbrechern ein neues Profil geschaffen. Beide Werften präsentierten sich Anfang September auf der Hamburger Schiffsbaumesse. Die Neptunwerft mit dem aktuellen Bau des Flusskreuzer A-Rosa Brava, die Nordic Yards mit der Beteiligung am Bau der holländischen Fährlinie Stena-Line. Doch so rosig wie das klingt ist die Situation der Werften nicht: Die Konkurrenz von staatlich subventionierten, mit Minimallöhnen produzierenden Länder wie China und Korea ist groß.

Der Wirtschaftsminister Mecklenburg-Vorpommerns will deshalb mit staatlichen Bürgschaften aus der Finanzierungsflaute helfen. Man hoffte auch auf eine Belebung des Marktes durch die verschärften Umweltauflagen.

Doch selbst wenn eine Stabilisierung gelingen sollte – Die Werften sind fast endgültig aus dem Rostocker Stadtbild verschwunden. Nun gilt es ihr Erbe zu verwalten. Grade erst wurde der umfangreiche Nachlass eines unermüdlichen Dokumentators zur Geschichte der Neptunwerft an das Stadtarchiv übergebenen.

Zuletzt wurden zum 1. August 2010 weitere Werftarbeiter entlassen. Offiziell ist der Vermittlungsprozess für die Arbeitsagentur Routine. Von dort heißt es, man rechne den Werftarbeitern sogar verhältnismäßig gute Chancen aus, sie seien »gut qualifiziert«. Unterstützung erhalten sie außerdem vom gemeinnützigen Verein ›Dau wat‹.

Einführung: Das Schweigen der Hämmer

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