Das Rostocker Theater führt Molières Amphitryon auf. Am 30. Dezember war die Premiere am Theater im Stadthafen.
Der ›Amphitryon‹ ist eines der Herzstücke europäischer Bühnenkultur. Seine Wurzeln sind mehr als 2.600 Jahre alt. Die früheste bekannte Quelle stammt vom antiken Griechen Hesiod. Dieser erzählt noch eine umfangreiche Familiengeschichte, eine von mächtigen Städten und Königsgeschlechtern, welche er in die Göttermythen einwebt. Eine Geschichte von riesigen, menschenfressenden Füchsen, der überschäumenden Libido der Götter, urtümlichen Vaterschaftstests mit Würgeschlangen, einer Tochter, die ihrem Vater die Zauberhaare schneidet und ihn damit kastriert. Geschichten über Geschichten, die damit begannen, dass Piraten eine Herde Rinder stahlen, wodurch der Krieg gegen diesen Stamm Piraten legitimiert wurde; Amphitryon war unglücklich zum Feldherrn geworden.
Von den antiken Quellen gibt es seit der Renaissance einige Bühnenadaptionen, nicht zuletzt von Molière. Dieser erzählt nicht den gesamten antiken Stoff — das wäre schwer erträglich — sondern nimmt sich eine der kribbeligsten Geschichten vor, in welchem Göttervater Jupiter mit der Hilfe seines göttlichen Boten Merkur mit den Menschen — allen voran Amphitryon und dessen Diener Sosias — ein komisches Identitätsspiel veranstaltet, um mit dessen verwirrter Frau den Herkules zu zeugen, und sie dabei alle um ihren Verstand bringt.
Deutsche Bühnen führen für gewöhnlich eher die Kleist-Version auf, anstatt der Molière-Fassung. Da wir 2011 den 200-sten Todestag von Kleist feiern wäre zu vermuten, dass es nun erst recht Kleist wäre, mit dem das Theater in das neue Jahr startet. Das Heftchen zum Stück argumentiert, dass Kleist allerdings alles aufgab, was Molière als Gesellschaftsdichtung erscheinen lässt. Diese Idee ist dankenswert und wir sollten in unserer Inszenierung danach suchen. Für diejenigen, die gern zeit- und ortsnah Kleist und Molière vergleichen möchten: das Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg hat die Kleist-Version ab Mitte Januar auf seinem Spielplan.
Der Amphitryon des Rostocker Theaters wurde von Bettina Rehm inszeniert und mein Fazit ist: Gehen Sie hin! Dem Stück ist ausreichend Witz abzugewinnen. Auch das Bühnenbild von Werner Brenner ist angenehm dezent. Vor allem ist zu honorieren: Man versucht diesmal nicht durch ständiges Kalauern Banden von Schulklassen zum Füßetrappeln zu bringen, wie es in der Vergangenheit nicht selten geschah, wodurch zwar nicht nachhaltig mehr junge Menschen für Theater begeistert wurden, aber mehr Erwachsenen das Theater abgewöhnt. Wir sehen außerdem eine sehr solide Schauspielleistung. Das trifft — hoffentlich ohne erotisch korrumpiert zu sein — mit Abstand zu auf Laura Bleimund in der Rolle der Alkmene; und auch auf Tim Ehlert (Amphitryon) und nicht zuletzt die Rolle der Cleanthis, die mit Sandra-Uma Schmitz überaus glücklich besetzt ist.
Zu den Spänen: Abgesehen von Peer Roggendorf (Naukrates), dessen Rolle rollenbedingt blass blieb, waren die restlichen Besetzungen unbefriedigend. Das Attribut, das sich mir aufdrängt, ist ›pubertär‹. Schauspielclowns mit notorisch krankhaftem Pornokonsum; und wer weiß, was noch. Bezeichnenderweise lacht das Publikum nicht bei den Fickgesten des Jakob Kratze anvertrautem Merkur, sondern dem hintergründigen, intelligenten Humor anderer Figuren. Zum Glück haben wir davon genug in dem Stück, das sich nicht zu schade ist, die sehr guten Dialoge in ausreichendem Umfang durchzuspielen.
Man mag mir einwenden, dass Molière eine Komödie schrieb und Komödien ihrer Natur nach den Menschen belustigen sollen. Doch haben Molières Komödien auch eine gesellschaftliche Funktion (die Veranstalter bedienen ja selbst ungeniert den Begriff Gesellschaftsdichtung, wenn sie gegen Kleist argumentieren), die aber leider unsichtbar bleibt. Und dies ist der einzig wirklich ins Gewicht fallende Kritikpunkt an dem Stück. Denn Molière schrieb Metakomödien (etwa: Komödien über wirkliche Komödien). Die lustigen Rollenspielchen hatten keine Spektakelfunktion, sondern eine sehr konkret didaktische Funktion, um die Ambivalenz höfischer Moral zu demaskieren. Er kritisierte einen Mangel politischer und moralischer Ordnung. Haben wir denn — ja auch in Rostock — keinen Mangel eben daran? Haben wir wirklich keinen Bedarf? Oder: wie gern geben wir das auf, um des Ziels, ein paar junge Menschen für das Theater zu begeistern? Ist Begeisterung nicht erst dann nachhaltig, wenn sie einen Bedarf deckt, den das Fernsehen nicht decken kann? Und sollten wir nicht darüber nachdenken das Theater zu schließen, wenn das nicht der Fall ist, wenn es weder unseren musealen Bedarf befriedigt, noch den nach kritischer Stimme, weil dessen Existenz dann lediglich eins wäre: dekadent?
Das soll nicht zu harsch klingen. Dies bleibt in Rostock ein grundsätzlicher Diskurs, der geführt werden muss. Der an dieser Stelle zu Recht zu einseitig erscheint. Es sind eben noch ein paar Spuren sichtbar. Die Albernheiten, Popsongs, die im Stück nicht funktionieren, ein paar wenige, unklare Details. Trotz dessen verspreche ich Ihnen mit dem Stück einen angenehmen Abend. Hinterlassen Sie uns gern Ihren eigenen Eindruck als Kommentar.
Weitere Informationen
Gespräch am Donnerstag zu ›Amphitryon‹ am 03. Februar 2011, ab 19:30 Uhr, Theater im Stadthafen – Foyer