Das achte Fish-Festival ist in Rostock erfolgreich zu Ende gegangen. Die Jury kürte ›Bettinas Job‹ von Patrick Richter zum Film des Jahres, der Förderpreis ging an ›Sprachlos‹ von Adrian Copitzky. Den Publikumspreis erhielt ›Für ne Hand voll Tüten‹ von Ismail Haciömeroglu.
Im Vorfeld der Entscheidungen erklärte die Jury die Schwierigkeiten, unter den Kurzfilmen die besten zu ermitteln. Also Entscheidungen so zu treffen, dass sie allen Filmen gerecht werden. Das Budget wäre bei den verschiedenen Teilnehmern zu unterschiedlich, ebenso wie die Erfahrungshorizonte, die Produktionsbedingungen. Es ginge in ideeller Weise darum, kreative Ansätze zu honorieren und nicht die Mängel, die aus diesen Bedingungen entstehen, überzubewerten. Die Entscheidungen sollten auch in diesem Kontext verstanden werden.
Die vielen Kurzfilme, die zu sehen waren, sind der wichtigste Teil des Festivals. Der Bundesverband Deutscher Film-Autoren (BDFA) richtet jährlich den Bundeswettbewerb ›Junger Film‹ aus. Seit 2004 organisiert Rostock mit dem Institut für neue Medien die Veranstaltung. Zu sehen waren dieses Jahr über zwei Tage 29 Kurzfilme, die in sieben Blöcken gezeigt wurden. Nach den Blöcken tagte die Jury öffentlich auf der Bühne. Das war für das Publikum optimal, weil natürlich einerseits die Filmemacher konstruktives Feedback erhalten konnten und die Zuschauer mit dem grad Gesehenen nicht allein gelassen wurden, der professionelle Blick auf die Filme auch eine Sprache vermittelte, darüber zu denken und zu sprechen. Mit Interpretationen musste man nicht immer einverstanden sein, aber die Kritik war gerechtfertigt. Und auch immer sehr höflich, was für diese Art des Forums sehr gelungen war.
Auch die zeitnahe Kritik der Juroren war wichtig, denn junger Film bedeutet an vielen Stellen auch fehlende Professionalität. Ob nun die technische Qualität, die Kameraführung, die schauspielerische Leistung, die Stimmigkeit oder Authentizität der erzählten Geschichte. Zu dieser fehlenden Professionalität gehört auch, wenn Filmemacher abwesend sind, wenn ihre Filme besprochen werden oder sie bei der Preisübergabe nicht anwesend sind. Es beschleicht einen das Gefühl manchmal fehlender Disziplin, die beim Film jedoch essentiell ist.
Natürlich hatte ausnahmslos jeder Film seine individuellen Stärken. Kein Film ließ Zweifel aufkommen, warum dieser sich mit in der Wertung befindet. Immer wieder waren auch echte Perlen darunter, die so wie sie waren ganz wunderbar funktionierten, beeindruckten, bezauberten und nachhaltig wirkten. Es wäre schön, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, diese Filme auf einer DVD zu erwerben, um sie mit Nachhause zu nehmen und noch einmal zu sehen; auch noch in einem Jahr. Dass das bisher nicht passiert ist, dass es im MAU-Club, wo die Filme gezeigt wurden, keinen Stand gab mit internationalen Kurzfilmen, Büchern und anderen interessanten Produkten, ist nicht nur schade, denn die Veranstaltung vergibt sich damit zu viel. Merchandising-Artikel reichen nicht. Ernsthaft sollten die Veranstalter auch darüber nachdenken, ob sie die Bühne 602 weiter in die Organisation mit einbinden. Man spürte dort sehr viel unnötige Überforderung. Es ist eine ähnliche Emotion, wenn die Kultursenatorin für eine Rede ohne Informations- oder Unterhaltunsgewinn auftaucht, um zur ersten Pause verschwunden zu sein.
Generell ist es jedoch schön zu sehen, wie stark und wie kreativ deutsche Filmemacher sind. Es ist befriedigend, dass auf dem Fish-Festival auch ein Anspruch vermittelt wird, der über dem absurd banalen Niveau deutscher TV-Sender liegt. Dass sich Menschen mit dem immer noch jungen Medium Film ausprobieren und spielen. Darum lohnt es, die Filme zu sehen und das Fish und andere Veranstaltungen dieser Art zu besuchen. Darum lohnt es auch, die Gewinnerfilme in Ruhe zu betrachten:
Film des Jahres: ›Bettinas Job‹
Eine Frau erzählt von der Arbeit, die sie grad macht. In einem Plattenbauviertel betreut sie eine Einrichtung, in der sie Totkranken, Armen, den Alten und Asylanten die Küchenfrau macht, sich deren Elend anhört, den Arzt ruft, wenn ein Arzt gebraucht wird, Kotze, Blut und Exkremente aufwischt und getragene Klamotten, oft von Toten, verkauft. Die Frau versteht aber nicht ihre Situation. Sie ist nicht wütend, sondern ist angesteckt von der Aussichtslosigkeit und Antriebslosigkeit und Hilflosigkeit derer, die sie betreut. »Heutzutage isses halt so.« Sie kann sich nicht erinnern, an diesem Ort einmal gelacht zu haben, alle würden klauen, vor allem die Asylanten, die könnten das richtig. Es lohne sich heutzutage auch nicht, wenn man arbeitet. Das macht nicht betroffen, sondern ekelt. Es fehlten vor allem die Menschen, die dort leben, die das alles narrativ eingerahmt hätten. Die alles in einen so wichtigen Kontext gebracht hätten. Der Geschichte hat die konkrete Mimik von Menschen außer Bettina erfordert, mit Bildern die sich auch ein bisschen Zeit nehmen, die Menschen zu beobachten, damit der Zuschauer ein Gefühl für diese Menschen entwerfen kann. Aber die Kamera hat nur mal kurz draufgehalten. Bettina hat von Asylanten erzählt, von Menschen, die umkippen und brechen und bluten. Aber der Film hat die Worte nicht zurückgeholt in die Darstellung. So war es zu gewollt.
Was diesem Film zugute gehalten werden muss, ist, dass er mit viel Sensibilität einen Teil der Geschichte Bettinas erzählt. Kamera und Schnitt erzeugen eine angemessene Ästhetik. Die Kamera ist ihr sehr nah, die Sprache sehr intim. Sie wirkt nicht verstellt, nicht affektiert. Das ist aber auch das Problem des Films, dass er keine Distanz erzeugt. Er ist im Ganzen zu nah an dieser Person. Die Bilder erzählen die Geschichte, die Bettina erzählt und nicht eine andere Geschichte darüber. Das einzige Moment, das widerspricht, ist zu still und zu unauffällig, da mehr als 10 Minuten Film dazwischenliegen. Am Anfang nämlich spricht sie davon, dass sie meist traurig ist, dass sie in ihrem alten Job nicht mehr arbeitet, weil sie Verantwortung hatte und geistig ausgefüllt war und am Ende spricht die Resignation aus ihr: Die Arbeit wäre doch schöner, als in der Werbebranche, in der sie vorher war. Da gehe es nicht um Umsatz und Kapital, sondern das Überleben. Das hätte unbedingt stärker gemacht werden müssen, um dieser Geschichte etwas abzuringen und nicht nur einen Sozialvoyeurismus zu befriedigen und diesen mit Reizworten und Intimität zu begründen. Aus diesem Grund ist ›Bettinas Job‹ nicht die beste Wahl für den Film des Jahres.
Förderpreis: ›Sprachlos‹
Sprachlos ist dagegen viel raffinierter. Raffinierter, was die Bilder angeht, die etwas erzählen. Während Bettinas Job nicht verstanden hat, dass auch eine Dokumentation ein Stück weit Zeichen benötigt, die (außerhalb von Bildaufteilung und Detailaufnahmen) etwas erzählen, was nicht gesagt wird, macht Sprachlos aus nur einem Raum und dessen Gegenständen eine gelungene Komposition. Der Zuschauer ist gefordert, die Bilder zusammenzusetzen, wird dabei nicht unterfordert. Man erkennt die Familiensituation, die emotionale Verfassung, dass er gekündigt wurde. Während man sein Leben also zusammenbaut, ist er bereits tot, während seine Musik-Playlist durchspielt, vom ersten Titel bis zum letzten. Der komplette Soundtrack eines Lebens. Abgesehen von minimalen Überlegungen zur logischen Stimmigkeit jedes Details ist der Film äußerst gelungen.
Publikumspreis: ›Für ne Hand voll Tüten‹
Beim Pumblikumspreis gab es fünf Platzierungen. Zwei vierte Plätze wurden vergeben. Das waren ›Bild von ihr‹ (Joschka Korn), ›Sleeping Perv is world-famous for 5 minutes‹ (Patrick Vollrath), Platz 3 ging an Adrian Copitzky für ›Sprachlos‹ und Platz 2 an ›Der präzise Peter‹ (Martin Schmidt)
Während ›Bettinas Job‹ zurecht nicht unter den 5 Publikumspreisen war, erhielt der erste Publikumspreis, ›Für ne Hand voll Tüten‹ von Ismail Haciömeroglu zurecht nicht den Förderpreis oder wurde gar bester Film. Er erzählt eine Geschichte eines 23-jährigen Mannes aus der Türkei und eines 20-jährigen Kroaten, die sich beide auf dem Arbeitsamt treffen und einen Job suchen. Dort werden sie abgewiesen, schmieden kriminelle Pläne und nehmen einer Omi dann ihre Einkaufstüten ab, um sie ihr dann doch nur Nachhause zu tragen. Es gibt nette Ansätze in diesem Film. Die Perspektiven der Kamera sind manchmal ganz hübsch, vor allem als die alte Dame mit ihren Tüten in das Bild gerät. Aber alles, wirklich alles, ist unendlich plakativ und unglaubwürdig. Nichts an der Geschichte wirkt glaubhaft und auch die schauspielerische Leistung ist zu oft mangelhaft. Darum ist Für ne Hand voll Tüten zwar ein durchaus sehenswerter Film, aber auf Platz 1 des Publikumspreises leider fehlplatziert.
Das achte Fish-Festival war sehr reich an Eindrücken und wieder eine sehr gelungene Veranstaltung. Die Jury war gut besetzt und auch der Moderator war sehr angenehm. Darum freuen wir uns auf das neunte Fish im nächsten Jahr.