Wo der Widerstand wächst

STADTMITTE. Am 25. Februar führte das Rostocker Theater die Premiere der ›Räuber‹ in der Inszenierung von Rüdiger Pape auf. Das ist eine Inszenierung, die man sehen muss: so leuchtend unprovinziell.

Räuber waren in der Zeit, in der das Drama von Friedrich Schiller entstand Banden von Aussätzigen, Ausgestoßenen, Deserteuren oder Vogelfreien, die sich um einen Räuberhauptmann organisiert hatten. Nein! Nicht dieser romantische Gedanke. Der andere, dahinter.

Es gab sie in veränderter Form in Deutschland bis in das 19. Jahrhundert. Vor 229 Jahren schrieb Schiller den Text. Die Räuber waren eine passende Metapher für den Wunsch nach Freiheit, den Ausbruch aus den Konventionen. Es ist ein blutiges, wütendes Stück. Schiller wurde nach der Aufführung, die er selbst sehen wollte, musste, vierzehn Tage in den Kerker geworfen, da ihm der Herzog untersagt hatte, dabei anwesend zu sein. Denn es war auch Affront gegen den Herzog, gegen die Militärakademie, an welcher Schiller sich befand. Es war aber auch ein Angriff auf eine opportunistische Moral, welcher er in der Person Franz‘ vorführte, wie schwach und anfällig sie ist. Dass sie aber trotz ihrer Kränkelei auch ein zerstörerischer Virus ist, mit dem sich eine ganze soziale Schicht infizieren lässt, der es nur um ihren Vorteil geht. Sie repräsentiert die hässliche Fratze unserer gemütlichen Zivilisation. Der Gedanke der Aufklärung, des selbstkritischen, unüberheblichen Menschen, wird die Antwort auf das Dilemma sein, dass die absolute Freiheit der Räuber jedoch ebenso Terror bedeuten muss. Darum ist das Stück so beängstigend gegenwärtig. Es braucht nur einen kurzen Blick zum Rathaus, um den Verdacht aufkommen zu lassen, dass manch aktuelle Entscheidung nur zum eigenen Vorteil getroffen wurde und die Risiken einfach in Kauf genommen werden.

Nicht zuletzt wegen dieses Anspruchs bricht Schiller mit Theaternormen, die seit Aristoteles bewahrt wurden. Er wechselt ständig den Ort, er macht Zeitsprünge, verwendet eine natürliche, reimlose Sprache. Es war damals nicht sicher, ob das so überhaupt aufgeführt werden kann. War eigentlich gar nicht dafür gedacht. Im Grunde aber Prinzipien, die bis auf wenige Ausnahmen unseren heutigen Film ausmachen, den Roman auch. Und bei weitem nicht so unaufführbar, wie einiges, was nach Schiller noch kam.

Die Inszenierung von Rüdiger Pape in der äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater zeigt das Stück nicht in der gewohnten Form, dass jede Figur des Stücks von einem Schauspieler gespielt wird. Er wagt den Versuch, 11 Schauspieler auf die Bühne zu stellen, welche sich das Figurenensemble teilen. Eine Figur wird oft von mehreren Schauspielern gleichzeitig gespielt. Sie wechseln auch untereinander. Es bleibt glücklicherweise nicht bei diesem akustischen Effekt, sondern ermöglicht sowohl ein Zwiegespräch eines einzelnen Charakters, aber auch, dass eine Figur, welche von mehreren Personen gespielt wird, einen psychologischen Vorteil hat gegenüber einer Figur, die dieser allein gegenüber steht. Das wird bis zu dem Punkt getrieben, an dem Karl sich nicht einfach umbringt, sondern von seiner eigenen Zerrissenheit ersoffen wird. Es ist ein äußerst kluges und bis zu Ende gedachtes Spiel, das wir sehen. Dass der Zuschauer nicht durcheinander gerät, bezeugt, wie gut Pape sich das ausbaldowert hat.

Allein den Rezensenten erschwert das, zu bewerten, welcher Schauspieler wie gut in seiner Rolle erschien. Der Kunstgriff ist ja, dass erst in der gemeinsamen Performanz der Charakter erstellt wird. Die schauspielerische Leistung mindert das nicht. Im Gegenteil: Es ist sicherlich eine größere Leistung punktgenau abgestimmt zu sein, miteinander, gleichzeitig zu agieren und zu sprechen. Da lässt sich nicht einmal eine Schwachstelle ausmachen. Das funktioniert einfach.

Auch, weil es wundervoll minimalistisch ist. Die Gedanken des Zuschauers bleiben beim Geschehen, bei dem, was wichtig ist. Das Bühnenbild, die Kostüme reizen ganz entspannt die Gedanken und die Fantasie. Auf der Bühne eine Rampe, dahinter Fragmente von Aufbauten. Alle Darsteller tragen das Gleiche: Einen Trainingsanzug der Bundeswehr. Die Accessoires: weißes Handtuch, unetikettierte PET-Flasche, schwarze Strickmütze, der Brief. Mal das eine, mal das andere. Worüber man am meisten nachdenken muss, das ist der Sportanzug. Das einzige Bonuslevel, das Pape einbaute. Doch letztlich funktioniert auch das hervorragend. Denn er unterstützt die Uniformität der Darstellung — oder besser: die Austauschbarkeit. Dann verweist er auf eine Welt der Hierarchien. Selbst die Räuber, welche aus einer unfreien Welt ausbrechen wollen, und in einer Welt der Anarchie einen Hauptmann brauchen. Es zeigt auch auf die Entstehungsgeschichte an der Militärakademie, zeigt auf seine Bedeutung als deutsches Drama, bleibt somit historisch einwandfrei. Das sind alles vorsichtige Referenzen, die sich zur Bundeswehr gar nicht äußern wollen. Das wäre auch fatal. Und es spricht für das Zeichenrepertoir der Inszenierung, dass das auch so fabelhaft funktioniert. Die Deutung weist vielmehr auf unsere eigene Leistungsgesellschaft, auf die erwartete Angepasstheit, welcher sich niemand ganz entziehen kann.

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